Hallo zusammen,
nun hat sich auch der SPIEGEL eine Meinung zur VFR 1200 DCT gebildet: "Sport-Tourer mit viel Schnickschnack" und "Nicht Fisch - Nicht Fleisch":
http://www.spiegel.de/auto/aktuell/0,1518,713908,00.html
Ich sehe das etwas anders:
1) Angesichts einer ganzen Reihe von erfolgreichen Motorrädern in unterschiedlichen Klassen und Genres beweist Honda (der weltgrößte Motorradhersteller, in Deutschland 2009 auf Platz 3 der Zulassungszahlen für Kräder ab 125ccm knapp hinter BMW und Suzuki; mit 4 Honda-Modelle in den Top 10 deckt Honda 1/3 der Verkaufszahlen aller TOP 10 ab) offenbar ein gutes Händchen für die Bedürfnisse des Marktes - und darauf kommt es ja letztlich an – nämlich was wir als Kunden möchten.
2) Honda hat offenbar auch ein gutes Händchen für die spezielle Kundschaft der VFR; eine Kundengruppe, die bereit ist, für die Erfüllung spezieller Anforderungen, die sich nicht notwendigerweise in absolut einmaligen Leistungsdaten niederschlagen, überdurchschnittlich viel Geld auszugeben. Technische Features stehen da ganz vorne auf der Wunschliste, und davon besitzt die VFR 1200 F DCT ja einige. Darunter sind sogar einige mit hohen Alleinstellungsmerkmalen, wie z.B. der grandiose V4-Motor und das fabelhafte DCT und beides in Kombination mit einem extrem reaktionsarmen Kardanantrieb, und das alles in einem Sportmotorrad. Nichts davon kann ich als „Schnickschnack“ erkennen. All diese technischen Schmankerl funktionieren hervorragend und tadellos, wie es sich für einen Weltklassespieler wie Honda gehört. Ganz besonders hervorheben möchte ich das Doppelkupplungsgetriebe: Ein Weltneuheit im Motorradbau und hervorragend gelöst. (Ja, es könnte subjektiv schneller zurückschalten; aber wäre ein manuelles Getriebe wirklich schneller? Das hängt vom Fahrer ab; ich für meinen Teil bin jedenfalls nicht davon überzeugt.)
3) Es ist immer so: (a) JEDES Motorrad hat Vor- und Nachteile und (b) die Schönheit liegt stets im Auge des Betrachters. Viel Enttäuschungen seit der Vorstellung der VFR 1200 F sind vermutlich auf die große Marketingkampagne von Honda zur Einführung der VFR 1200 F zurückzuführen, die manchen von uns diese einfachen Lebenserfahrungen hat vergessen lassen - anscheinend auch einige der ach so objektiven Journalisten, was die z. T. heftigen und kontroversen Diskussionen in verschiedenen Foren noch zusätzlich angeheizt hat. Wir hatten eine eierlegende Wollmilchsau erträumt, eine moderne Interpretation der RC46, die das Leistungsniveau einer BMW S1000RR mit der Alltagstauglichkeit einer CB 1300 vereint. Aus meiner subjektiven Sicht kommt die VFR 1200 F DCT dem sogar ziemlich nahe.
4) Betrachtet man die für Motorräder wesentlichen technischen Parameter, so liegt die VFR 1200 F im Rahmen dessen, was die beste Konkurrenz absteckt: Hubraum, PS, elektronische Motorsteuerung einschließlich ride-by-wire, Kardan, Bremsen, Fahrwerk und Radstand, Gewicht (einschließlich Kg pro PS), Tankvolumen und Verbrauch, Verkleidungsgröße und -wirkung, Qualität der Sitzbank wie des gesamten Motorrades, verdeckte Montagemöglichkeit für elegante und recht stabile Hartschalenkoffer (bei der K 1300 S / R gibt es nur weiche Koffer). Sicherlich kann man noch eine ergänzende Wunschliste haben (und manches wird vielleicht sogar noch erfüllt werden), aber gilt das nicht für jedes Motorrad? Gewiss kann man bei BMW i.d.R. mehr Features bestellen als bei einer Honda; aber bei vielen anderen Angeboten kann man herstellerseitig gar nichts hinzuwählen. Und bis spätestens Frühjahr 2011 wird auch der Zubehörmarkt voll sein mit attraktiven Angeboten. Das wird dann auch interessante Individualisierungen erlauben.
5) Die Qualität des Fahrzeuges ist für ein vollständig neues Produkt einmalig gut, wie man es von Honda zu Recht erwartet. Mit Schrecken erinnere ich mich an die ersten Gehversuche von BMW mit der aktuellen K-Generation. Als diese 2004 auf die Kunden los gelassen wurde, übrigens nach einem Neustart, weil die allerersten Maschinen wohl unfahrbar waren, mussten die Kunden viel Geduld üben und bekamen erst mit der Zeit und mit Hilfe einer Vielzahl von Softwareupdates das Motorrad, was sie sich gewünscht hatten. Ich war mit meiner K 1200 R von Februar 2005 einer davon. Heute möchte diesen Brocken nicht mehr missen; aber der Anfang war schon erstaunlich. Wie anders dagegen die VFR 1200 F: Perfekt von Anfang an, wenn man von der gewollten – und auch von mir nicht goutierten - eingeschränkten Leistungsabgabe im unteren Drehzahlbereich absieht. Aber das ist ein anderer Punkt.
6) Schließlich ist mir die SPIEGEL-Kritik hinsichtlich des angeblich unklaren Einsatzzweckes der VFR 1200 F viel zu beliebig. Alle Testergebnisse und Kommentare in Foren von Kollegen/innen, die die Maschine schon gefahren haben, unterstreichen, dass sowohl die Toureneigenschaften wie die sportlichen Fähigkeiten gleichermaßen stark ausgeprägt sind. Die VFR 1200 F ist also tatsächlich, wie es der SPIEGEL beschreibt, weder eine Fireblade noch ein Tourer a la Goldwing oder LT. Allerdings nehme ich an, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der Käufer der VFR (sei es der früheren Generationen oder der aktuellen) gerade diese "Eigenschaft" so an ihr schätzen: Man kann mit ihr ohne Schmerzen auf angenehmste Weise ausgedehnte Touren fahren (wie ich jetzt gerade 4.000km innerhalb von 10 Tagen), ohne zugleich sportliches Fahren vermissen zu müssen. Im Gegenteil, meinem ganz sicheren Eindruck nach ist die VFR 1200 F eindeutig eine Sportmaschine (ich sage nicht Supersportmaschine, aber viel fehlt da nicht), die auch touristisches Fahren erlaubt (wenn man sich denn "am Zügel reißen kann"). Insofern bleibe ich dabei, dass das, was Honda mit dem Begriff "Roadsport" ausdrücken möchte, für mich sehr zutreffend ist.
7) Im Ergebnis habe ich mit der VFR 1200 F DCT jedenfalls exakt das Motorrad, was ich mir wünsche. Und ich gehe davon aus, dass dies den meisten Käufern bzw. Fahrern so ergeht. Eine wundervolle Sportmaschine mit einigen Alleinstellungsmerkmalen, auf die ich nicht mehr verzichten möchte. Wenn dann noch das Leistungsloch weg wäre – perfekt!
Gruß
Markus